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Die spektakulärsten Komplikationen einer Armbanduhr

January 31, 2024 | Lesedauer: 7 Minuten
Autor: Severin Giesswein | 2 Kommentare | oacsspl

Hallo zusammen und willkommen zurück, zu einer weiteren Ausgabe der sechsteiligen Reihe „Zum Uhrenkenner in sechs Schritten.” In jeder der Ausgaben lernt ihr, was ihr wissen müsst, um in die spannende Materie der Luxusuhren einzutauchen.

Am Ende seid ihr über Geschichten, Marken, Komplikationen, Arten von Uhren und die Philosophien des Sammelns bestens informiert. Deswegen empfehle ich euch unbedingt, die vorhergegangenen Ausgaben zu lesen. Die letzte gab euch eine erste Einführung in die Welt der Komplikationen, welche wir heute gemeinsam erweitern wollen. Ich wünsche euch viel Spaß!

Die Finessen einer mechanischen Armbanduhr

In der vorangegangenen Ausgabe habe ich euch eine erste Einführung in die Welt der Komplikationen gegeben. Heute wollen wir gemeinsam die etwas spektakuläreren und unregelmäßiger anzutreffenden Finessen in einer mechanischen Armbanduhr behandeln. Also, lasst uns loslegen!

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Der Jahreskalender

Ähnlich dem herkömmlichen Kalender, handelt es sich beim Jahreskalender um eine Komplikation, welche das Anzeigen des aktuellen Wochentags ermöglicht. Jedoch ist der Jahreskalender in mehrerlei Hinsicht eine aufwändigere und gehobenere Komplikation. Überlege einmal, mit welchen Aufgaben ein mechanischer Kalender innerhalb einer Armbanduhr konfrontiert ist. 

Schnell fällt dir die Tatsache auf, dass unsere Monate verschieden lang sind. Einfachen Kalender-Komplikationen gelingt es nicht, zwischen langen und kurzen Monaten zu unterscheiden. Jeden Monat springt die Datumsscheibe auf “31”.

Als Träger musst du das Datum deiner Armbanduhr daher jeden zweiten Monat manuell anpassen. Patek Philippe gelang im Jahre 1996 der große Wurf mit der Referenz 5035. Sie stellten eine Uhr mit einem patentierten Mechanismus vor, welche in der Lage war, Monatslängen zu unterscheiden. Die Uhr überspringt selbstständig die “31”, wenn es nötig ist. 

Lediglich der Februar bedarf einer manuellen Korrektur. Aufgrund dessen benennt Patek den Jahreskalender auf ihrer Website als „nützliche und praktische Komplikation”. Ein anderes Wort für den Jahreskalender ist übrigens „Vollkalender“.

Heute bieten viele Hersteller Jahreskalender an, welche das Datum auf variierende Arten und Weisen anzeigen. Trotz der besseren Verfügbarkeit bleiben Zeitmesser mit Jahreskalender im Alltag eher eine Rarität. 

Viele Jahreskalender sehen für Laien aus, wie Uhren mit herkömmlichen Monatskalendern. Jahreskalender sind somit Zeitmesser für echte Kennerinnen und Kenner. Das perfekte und hochfunktionelle Understatement. Ein schönes Beispiel bildet die dargestellte Omega Constellation Globemaster mit einem traditionellen Pie-Pan Zifferblatt.

Der Ewige Kalender

Die Endstufe der Kalender-Komplikationen ist der Ewige Kalender. Wie der Name vermuten lässt, verschiebt sich das Einstellungsintervall in diesem ausgeklügelten mechanischen Wunderwerk erheblich nach hinten. 

Ein Ewiger Kalender vermag es das korrekte Datum nach dem Einstellen ohne weitere Eingriffe bis ins Jahr 2100 anzuzeigen. Dies geschieht unter Berücksichtigung von langen und kurzen Monaten, Schaltjahren und dem 29. Februar. Üblicherweise haben Uhrenmodelle mit ewigem Kalender zusätzlich eine korrespondierende Mondphasen-Komplikation. 

Traditionellerweise verfügen Uhren mit Ewigem Kalender über ein symmetrisches Layout auf dem Zifferblatt. Vier Hilfszifferblätter stellen das Datum, den Wochentag, den Monat, das Jahr dar. Gegebenenfalls kommen zusätzliche Funktionen, wie die Mondphase, eine kleine Sekunde oder eine Gangreserve hinzu.

Bildquelle: IWC Schaffhausen

Aufgrund ihrer Komplexität ist die Kompilation des Ewigen Kalenders eine sogenannte „High Complication”. Wenige Hersteller sind in der Lage einen solchen Mechanismus zu fertigen. Hinzu kommt die aufwändige Einstellbarkeit. 

Da viele Teile ineinandergreifen, besteht bei falscher Handhabe die Gefahr der Beschädigung. Darum sind viele Uhren mit Ewigem Kalender – sollten sie stehenbleiben – zum Hersteller zurückzuschicken. 

Wenige Mechanismen erlauben ein praktikables Einstellen. Jene Uhren die so gebaut sind, sind daher hervorzuheben. Als Beispiel ist der legendäre Kalendermechanismus von Kurt Klaus zu nennen, welcher sich in Uhren von IWC findet. Um ein Stehenbleiben der Uhren zu vermeiden, empfiehlt sich beispielsweise das Nutzen eines Uhrenbewegers.

Retrograde Anzeigen

Retrograd setzt sich aus den lateinischen Begriffen “retro” und “gradus” zusammen und bedeutet soviel wie “rückläufig”. Bei Uhren mit retrograder Anzeige werden Funktionen mithilfe eines sich rückwärts bewegenden Zeigers dargestellt. Dabei kann es sich um die Sekunden, die Minuten, die Stunden, das Datum und vieles mehr handeln. 

Es handelt es sich um eine uhrmacherische Spielerei, welche selten Anwendung findet. Oft anzutreffen ist die retrograde Sekunde. Der Sekundenzeiger läuft 30 Sekunden regulär ab, schnellt mit hoher Geschwindigkeit zurück und vervollständigt mit weiteren 30 Sekunden die Minute. Bei einem Tag von 24 h wiederholt sich dieser Vorgang 2880 mal

Bekannt für diese Art der Anzeige ist die Marke Gerald Genta. Sie bedient sich in vielen Zeitmessern der retrograden Minutenanzeige. Viele weitere Marken verbauten diese Komplikation und lancierten zum Teilen interessante Stücke.

Longines Hydroconquest
beworbener Magazin-Beitrag

Der Schleppzeiger-Chronograph

Uhren mit Chronographen-, also Stoppuhr-Funktion sind komplizierte Wunderwerke. Über den Chronographen-Mechanismus als solchen habe ich in der letzten Ausgabe berichtet. Möchten die Hersteller ihre uhrmacherischen Muskeln spielen lassen ergänzen sie ihr Uhrwerk durch eine “Rattrapante-Funktion”. 

Auch „Schleppzeiger” oder „Split Seconds” genannt, handelt es sich hierbei um sogenannte Doppelzeiger-Chronographen. Sie ermöglichen das Stoppen von Zwischenzeiten. Beim Starten des Chronographen beginnen zwei exakt übereinander liegende Chronographen-Sekundenzeiger im Gleichschritt. 

Betätigt man den „Stopp-Pusher” hält lediglich einer der beiden Zeiger an, während sich der andere unbeeinflusst fortbewegt. So lassen sich Zwischenzeiten, Intervalle oder Zeitdifferenzen exakt bestimmen.

Bildquelle: Breitling

Rattrapante kommt aus dem Französischen und bedeutet soviel wie “einholen”. Namensgebend für die Funktion ist, dass ein weiterer Tastendruck den zuerst gestoppten Zeiger dazu veranlasst, den fortlaufenen Zeiger einzuholen. Diese laufen anschließend parallel weiter. 

Rattrapante-Chronographen sind anspruchsvoll in ihrer Herstellung und gelten als besonders wertvolle Komplikation und als ein Zeichen höchster uhrmacherischer Fertigkeiten. Nur Zeitmesser der höchsten Güteklasse – mit den begabtesten Uhrmacherinnen und Uhrmachern im Hintergrund – sind mit Rattrapante-Chronographenwerken ausgestattet. 

Beispiele sind der Patek Philippe 5372, der F. P. Journe Chronograph Monopoussoir Rattrapante oder der A. Lange & Söhne Triple Split. Auch kommerziellerer Marken verbauen Rattrapante-Chronographen. Hierzu zählen die dargestellte Breitling Navitimer B03 Rattrapante oder die IWC Portugieser Rattrapante Chronograph.

Der Alarm

Es gibt kaum eine praktischere Komplikation, als einen Wecker für das Handgelenk. Nie mehr nach der Party die Bahnhaltestelle verschlafen. Nie mehr einen Termin verschwitzen. Nie mehr vom Handakku abhängig sein, um Erinnerungen präsent zu haben. 

Aber Spaß beiseite – ein Alarm für das Handgelenk! Wir alle wüssten sicher auf Anhieb einen unmittelbaren Nutzen in unserem persönlichen Alltag. 

Das renommierteste Modell dieser Art ist die Vulcaine Cricket. Ihrem Namen entsprechend zirpte sie bei erreichter Alarmzeit wie eine Grille. Dies alles geschieht – selbstverständlich – rein mechanisch. Der Schlägel der Alarmfunktion speist sich mit der Energie der Hauptfeder.

Bildquelle: Hodinkee

Ein interessanter Fakt ist der Folgende. In den 1950er Jahren trug der U.S. amerikanische Präsident Harry S. Truman gerne öffentlich seine Vulcaine Cricket. Er verließ sich auf ihre Genauigkeit und ihren zuverlässigen Alarm. 

Auch Dwight D. Eisenhower, Lyndon B. Johnson und Richard Nixon waren populäre Besitzer einer Vulcaine Cricket. Der Zeitmesser verdiente sich so den Spitznamen „Vulcaine President”. So gibt es defacto zwei „President”-Uhren, jedoch ist die Vulcaine Cricket – neben der Rolex Daydate – nur echten Enthusiasten bekannt. 

Ein weiteres und das heutzutage bekannteste Modell ist die Jaeger-LeCoultre Memovox. Als eine heute führende und renommierte Marke hat JLC mit der Memovox den heute beliebtesten Armbandwecker im Sortiment. In vielen der ikonischen Kollektionen findet sich heute die Memovox-Funktion im Katalog von Jaeger-LeCoultre.

Das Schlagwerk

Auch das Schlagwerk hält prinzipiell genau das, was der Name verspricht. Es handelt sich um die Angabe der Zeit auf Abruf über ein akustisches Signal durch ein Repetitionsschlagwerk. Schlagwerke sind höchstkomplexe Mechanismen und ebenfalls Zeichen hoher Uhrmacherkunst

Unterschieden wird im wesentlichen zwischen Stundenrepetition, Viertelrepetition, Halbviertelrepetition, Fünf-Minuten-Repetition und Minutenrepetition. Das Betätigen eines Schiebers an der Gehäusewand speist den Mechanismus mit Kraft und aktiviert ihn. Die beiden populärsten Schlagmuster sind die Petite Sonnerie und die Grande Sonnerie

Der Begriff „Sonnerie” beschreibt den eigentlichen Mechanismus. Dieser zeigt auf Abruf die Uhrzeit unter Zuhilfenahme akustischer Signale an. Hierfür ist separates Räderwerk verschaltet. Kleine Hämmer schlagen Stunden, Viertelstunden und Minuten auf Glocken, Tonfedern oder schwingende Teile der Gehäusewand. Die Art der akustischen Zeitwiedergabe nennt sich Repetition.

Bildquelle: Patek Philippe

Die große Sonnerie (Grand Sonnerie) ist – wie oben beschrieben – eine besondere Art des Repititionsschlagwerks. Es bemisst sich an der Schlagfolge. Zunächst wird eine große Glocke geschlagen, um die aktuelle Stunde anzuzeigen. Danach folgen Doppelschläge für jede verstrichene Viertelstunde. Drei tiefe Einzelschläge, zwei helle Doppelschläge, acht helle Einzelschläge entsprechen Drei Uhr, 30 Minuten & acht Minuten, also 03:38 Uhr. 

Bei der Petit Sonnerie wird zur vollen Stunde die Stundenzahl auf eine große Glocke geschlagen, ohne Berücksichtigung der Viertelstunden. Abseits der vollen Stunde werden die Viertelstunden – für gewöhnlich mit einem Doppelschlag – auf zwei Glocken angegeben. 

Viele Hersteller verfügen in ihren Katalogen über Uhren mit Schlagwerken. Bekannt sind die “großen Komplikationen” von Patek Philippe oder die berühmten “Traditionelle Minute Repeater” von Vacheron Constantin. A. Lange & Söhne begeistert mit der atemberaubenden Zeitwerk Striking Time und Breguet mit dem Tradition Minute Repeater.

Das Tourbillon

„Tourbillon” ist Französisch und bedeutet „Wirbelwind“. Er war die Erfindung von Abraham Louis Breguet – dem bedeutendsten Uhrmacher aller Zeiten. Sie stammt aus dem Jahre 1801 und galt als die ultimative Lösung, um lagebedingte Gangabweichungen in Taschenuhren zu kompensieren. 

Die Schwerkraft wird auf die Unruh von Taschenuhren, da diese in der stets gleichen Position in einer Westentasche liegen. Eine Tourbillion-Unruh dreht sich, aufgehangen im sogenannten Tourbillon-Käfig, im Regelfall ein Mal pro Minute um sich selber. Durch diese Funktion wechselt ständig ihre relative Position zur Schwerkraft. 

Heutzutage sind Tourbillons meist ein Zeichen uhrmacherischen Vermögens, da Armbanduhren normalerweise nicht statisch an eine Position gebunden sind. Stattdessen bewegen sie sich fortlaufend mit dem Handgelenk ihres Trägers, was die Aufgabe des Tourbillions übernimmt. Böse Zungen könnten sagen, ein Tourbillion sei eine wunderschöne doch überflüssige Spielerei.

Bildquelle: Breitling

Varianten des klassischen Minuten-Tourbillons sind beispielsweise das Halbminuten-Tourbillon oder das fliegende Tourbillon, welches ohne einen Käfig auskommt. Streng genommen handelt es sich bei einem Tourbillon nicht um eine Komplikation. Sie gibt dem Zeitmesser keine zusätzliche Nutzbarkeit. 

Bei einem Tourbillon handelt es spezifisch sich um eine Funktion, welche einzig für die Verbesserung der Chronometrie erfunden wurde. Das verleit dem Tourbillion einen wahrlich besonderen Stellenwert. Auch wenn Tourbillions heutzutage überflüssig sind, sind die ein Zeichen von Uhren höchster Güte. 

Meist sind sie nur in Zeitmessern der größten Marken und höchsten Preisklassen zu finden. Ihr hoher Preis wird durch die aufwändige Fertigung und ihr spektakuläres Aussehen, statt Nutzbarkeit rechtfertigt. Und ist das nicht sogar die metaphorische Definition von Luxus?

Breitling Avenger

Und damit sind wir am Ende der heutigen Ausgabe. Wie immer hoffe ich, dass sie euch gefallen hat und ihr etwas Wissenswertes und Neues mitnehmen konntet. Falls ihr mehr spannende Geschichten lesen möchtet, schaut unbedingt im Magazin auf unserer Website altherr.de vorbei. Dort findet ihr auch viele der Uhren, über die ich in dieser und den letzten Ausgaben berichtet habe. 

Danke, dass ihr wieder dabei wart und bis zum nächsten Mal!

Euer Severin

(Zuvor erschienen im Gentleman-Blog)

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Severin Giesswein

Severin Giesswein ist seit Frühjahr 2020 als freier Mitarbeiter für ALTHERR tätig. Hauptberuflich in der Medizin beschäftigt, verfasst er in regelmäßigen Intervallen den ALTHERR Sekundenstopp – eine Übersicht über alle Neuigkeiten der Uhrenindustrie und moderiert als Host die zugehörige ALTHERR Sprechstunde live auf YouTube. Seine Begeisterung für Armbanduhren teilt er zudem auf Instagram unter @derwerkstudent.

2 Comments

    • Hey, es freut uns, dass dir der Beitrag gefallen hat! Du hast recht, es handelt sich hier um einen Beitrag unserer Serie “Zum Uhrenkenner in 6 Schritten” und ist daher eher an die Beginner gerichtet. Wir hoffen aber natürlich trotzdem, dass auch der ein oder andere fortgeschrittenere Uhrensammler, hier vielleicht noch etwas dazulernen kann. 😄

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